Erstbegehung einer wilden Winterroute an der Zugspitze mit Michi Wohlleben. Hier findet ihr einen Bericht der Aktion aus dem Jahr 2014 sowie Routeninfos.
An der Südseite des Zugspitzmassivs, oberhalb der Ehrwalder Alm, erhebt sich die Wetterwand: beeindruckende 800 m hoch, steil und ohne Frage ein Blickfang. Geklettert wird hier aber kaum. Allein die klassische Wetterkante, die linke Begrenzung der Wand, wird regelmäßig begangen. Dazu kommen ein paar Durchstiege der Route „Therapie“, eine lange Sportkletterroute im rechten Teil der Wand. Zu den weiteren vorhandenen Routen sind nur dürftige Beschreibungen verfügbar. Es scheint aber, dass der zentrale Teil der Wetterwand bisher noch keinen Durchstieg gesehen hat. Und das klingt nach einem Auftrag.
Manche Routen geht man besser bei winterlichen Verhältnissen und tiefen Temperaturen an. Das kann ganz praktische Gründe haben, beispielsweise weil die Kletterei dadurch sicherer wird. Manche Routen sind aber ganz einfach auch nur im Winter interessant – als herausfordernde Mixedkletterei, als Trainingsroute für große Westalpenwände oder schlicht, weil die verschneiten Berge drum herum so schön sind. Bei der Linie, die Michi und ich im Auge haben, kommt alles zusammen. Es könnte eine coole Winterroute werden.
Noch im Dunkeln steigen wir ein. Ich führe den ersten Teil, ungefähr ein Drittel der geplanten Route. Nach ein paar Stunden stehen wir am Beginn der großen Firnrinne. Hinter uns liegen mehrere anspruchsvolle Längen mit bescheidenen natürlichen Sicherungsmöglichkeiten, in denen ich insgesamt drei Bohrhaken gesetzt habe. Seilfrei geht’s weiter, die Firnrinne hinauf, die von mehreren Steilstufen unterbrochen wird. Wir geben Gas, und das müssen wir auch, denn die Sonne ist längst ums Eck gekommen…
Die Headwall sieht übel aus, steil und beängstigend brüchig. Michi eiert voran und erreicht nach zwei Seillängen eine Höhle, an deren Eingang er an einem mürben aber wenigstens großen Felskopf Stand machen kann. Ich übernehme das scharfe Ende des Seils, steige weiter und befinde mich irgendwann in der unglücklichen Lage, dass ich weder vor noch zurück komme und zudem schlecht stehe. Schließlich gelingt es mir, einen rettenden Bohrhaken zu setzen. Das war’s, ich bin mental verschlissen und Michi hat auch keinen Bock mehr. Abgesehen davon würden unsere wenigen Bohrhaken in diesem Gelände nirgends hinreichen. Wir verziehen uns in die Höhle, in der wir wohl oder übel biwakieren werden.
Der Boden der Höhle ist grenzwertig abschüssig und besteht aus brüchigem Gestein und gefrorenem Dreck. Mit unseren Eisgeräten und einem Felshammer ebnen wir zwei Schlafplätze ein. Die Zeit ist gut investiert, denn Dezembernächte sind lang. Wir brechen ein paar Eiszapfen von der Decke, kochen damit Tee und bereiten das Abendessen zu. Das hat durchaus Stil. Und bestimmt haben wir den coolsten Schlafplatz weit und breit... Früh am nächsten Morgen seilen wir ab und fahren nach Hause.
Eine Woche später wagen wir einen zweiten Versuch. Diesmal mit viel weniger Ausrüstung und dem Plan, in einem Tag durchzukommen. Die Headwall ist bald erreicht und Michi nimmt sich der Sache an. Er kommt im übelsten Steilbruch zehn Meter weiter als ich beim letzten Mal. Dann heißt es wieder „Ende Gelände“. Nicht zuletzt, weil Steinschlag eines unserer Seile zu einem Drittel durchtrennt hat, ich zuvor mit einem Felsblock aus der Wand geflogen bin und der Block auf meinen Oberschenkel. Das war’s erst mal.
Es ist Ende Februar 2014. Der direkte Weg durch die Südwand der Südlichen Wetterspitze ist für mich gestorben. Aber es gibt noch einen zweiten logischen Ausstieg aus der Wand: nach rechts, über markante Rampen in Richtung Wetterwandeck. Und weil der untere Teil unserer Kreation wirklich coole und abwechslungsreiche Kletterei bietet, wollen wir das Projekt auch zu Ende bringen. Mit dieser Motivation steigen wir erneut zur Wetterwand auf. Der erste, uns bekannte Teil der Route ist schnell bewältigt, das folgende leichte Gelände ebenso. Knapp unter der Gipfelwand bremst uns zunächst tiefer Schnee, dann wird es nochmals ruppig. Der Weiterweg führt über einen kurzen Gratabschnitt. Auf der Suche nach einer Sicherungsmöglichkeit entdecke ich zwei alte Schlaghaken. Damit ist klar: Wir sind hier nicht die Ersten und egal was noch kommt, wir werden keinen Bohrhaken mehr setzen.
Den einfachsten Weg zum Gipfel stellt eine breite Rampe dar, deren Zugang allerdings von einem überhängenden und zudem splittrigen Wandabschnitt versperrt wird. Noch einmal kommen Zweifel auf. Dabei ist die Lösung recht simpel: Augen zu und durch. Es folgt leichtes kombiniertes Gelände, wenig später erreichen wir den Gipfel des Wetterwandecks. Die Sonne scheint, die Fernsicht ist gewaltig – was uns die Wand abverlangt hat, ist schon wieder fast vergessen…
Text: Fritz Miller 2014
Erstbegehung
Michi Wohlleben und Fritz Miller am 26.02.2014 in 5h 18 (nach Vorarbeiten im Dez. 2013). In der großen Rinne des Mittelteils verläuft die Route im Bereich der Schmid-Führe. Im darauffolgenden Gratabschnitt bis zur kleinen Höhle auf der Laßberg-Leberle-Führe.
Ernsthaftigkeit
Lange und ernsthafte Unternehmung. Vor- und Nachsteiger sollten die angegebenen Schwierigkeiten sicher klettern können. Oft weite Runouts und Querungen. Nach Schneefällen und bei Sonneneinstrahlung kommt es in der Wand zu Entladungen. Nach einem frühen Einstieg (noch im Dunklen) sollte man den unteren Wandteil schnell hinter sich lassen, um der Erwärmung zu entgehen.
Zustieg
Über die Fahrstraße Richtung Ehrwalder Alm, dann links die Piste hoch, bis diese knapp unterhalb der Bergstation des „Ganghofer Blitz“ Sessellifts einen Bogen nach rechts macht. Hier nach links in den Wald und weiter linkshaltend aufsteigen, bis der Weiterweg von einem Latschengürtel versperrt wird. Diesen überwinden, dann über freie Hänge linkshaltend zum Wandfuß.
Abstieg
Nach Norden aufs Zugspitzplatt. Von dort mehrere Optionen.
Update 2024
Im Bereich der Schlüssel-Seillänge in der ersten Wandstufe kam es zwischenzeitlich wohl zu einem Felssturz. Wer diesbezüglich über Informationen verfügt, bitte melden.
Materialempfehlung